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Grundlagen: Schnell spielen

Jeder kennt sie, die Musiker, die scheinbar mühelos jede Temposchallmauer durchbrechen. Höher, schneller, weiter – das ist schon seit vielen Jahren die Devise. Hier erfährst du, wie du das schnelle Spielen üben kannst und warum das schnelle Spielen nicht bedeutet, dass du ein guter Musiker an deinem Instrument bist.

Mach den Bruchtest

Wieder einmal gibt es eine Analogie zwischen Karate und dem Musikmachen. Wer schnell spielen möchte, muss den Bruchtest bestehen! Bruchtest? Soll ich jetzt etwa Bretter oder Steine zerdeppern? Ja, genau das!

Bei einem Bruchtest zerschlägt der Kampfkünstler mit einer Hand-, Ellenbogen oder Fußtechnik ein Brett, einen Stein oder gleich mehrere davon. Der Bruchtest, so beeindruckend er für das Publikum auch ist und gerne für Vorführungen herangezogen wird, hat dabei wenig mit Kraft zu tun, sondern in erster Linie mit Technik. So sind schon wirklich kräftige Leute an einem einzelnen dünnen Brett gescheitert, während selbst Kinder ohne große Mühe Steine oder mehrere Bretter hintereinander zerschlagen können.

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Wie funktioniert das?

Bei einem Bruchtest kommt es zunächst auf die korrekte Ausführung der Technik an. Nur wer die Technik beherrscht, wird auch erfolgreich sein. Ein weiteres wichtiges Element eines jeden Bruchtests ist das eigentliche Ziel. Nun glaubst du vielleicht, dass das Ziel doch eindeutig ist: Das Brett! Weit gefehlt. Wer das Brett schlägt, wird es nicht zerbrechen. Das eigentliche Ziel liegt hinter dem Brett. Der letzte wichtige Punkt ist der Fokus auf dieses Ziel. Nur wer sich auf das Ziel fokussiert und nicht hadert, wird Erfolg haben. Nun sind im Karate Bruchtests gar nicht so weit verbreitet wie zum Beispiel im Taekwon-Do und ich muss gestehen, dass  ich es noch nicht ausprobiert habe. Bruchtests gehören nicht zur Prüfungsordnung im Karate. Es steht aber fest auf meinem Plan, es unbedingt mal auszuprobieren, denn wer möchte nicht mal gerne ein oder mehrere Bretter zerschlagen? Du möchtest jedenfalls die Temposchallmauer durchbrechen und das funktioniert ganz ähnlich.

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Deine persönliche Schallmauer

Jeder Musiker hat Grenzen, wenn es um das Tempo geht. Finde zunächst einmal heraus, wo deine persönliche Grenze liegt. Das kannst du mit jeder beliebigen Passage eines Stückes machen, zum Beispiel mit einem Gitarrenlauf eines Solos, einem Repeating Pattern oder einfach mit Wechselschlägen auf einer Saite. Tasteninstrumentalisten könnten stattdessen die Tonrepetitionen auf einer Taste spielen oder ebenfalls eine rasche Tonfolge. Spiele diese nun zu einem Metronom und notiere dir das höchste Tempo, in dem du diese Passage sicher spielen kannst. Wichtig: Du musst sie perfekt in diesem Tempo spielen können und zwar immer!

Das eingestellte Tempo ist deine persönliche Temposchallmauer für diese Passage. Notiere diese!

Grenzen verschieben

Nun geht es darum, deine obere Tempogrenze weiter nach oben zu verschieben. Dazu bedienen wir uns der beschriebenen Analogie zum Bruchtest im Karate:

  1. Die Technik muss stimmen. Übe das Stück/die Passage so lange im langsamen Tempo, bis du sie mit einwandfreier Technik IMMER fehlerfrei spielen kannst.
  2. Das Ziel liegt hinter dem Ziel. Dein Zieltempo sollte etwas höher liegen als dein Endtempo. Nur so kannst du garantieren, dass du das Stück/die Passage auch im Endtempo sicher spielen kannst und die Temposchallmauer auch knackst.
  3. Hadere nicht! Wer Angst vor dem hohen Tempo hat, wird auch nicht sicher im hohen Tempo spielen. Du musst dir sicher sein, dass du es schaffen wirst. Bleib dran und gib nicht auf!

Methodik

Das wichtigste Werkzeug zum Üben ist das Metronom. Es ist deine Referenz. Stelle das Metronom auf ein angenehmes Starttempo. Dieses darf ruhig etwas langsamer sein als gewöhnlich. Du musst dich ja auch erst etwas warm spielen.

Spiele nun das Stück/die Passage mehrfach auf diesem Tempo durch. Erhöhe das Tempo um 2 BPM. Spiele nun erneut. Hat alles weiterhin reibungslos geklappt? Dann erhöhe das Tempo erneut um 2 BPM. Hat es nicht geklappt? Dann gehe wieder um 2 BPM zurück und übe auf dem alten Tempo weiter. Hat es geklappt, aber du fühlst dich noch nicht sicher genug, um weiter zu gehen? Dann gehe um 1 BPM zurück und übe die Passage mehrfach in diesem Tempo.

Diesen Vorgang wiederholst du nun. Gehe niemals weiter als 2 BPM rauf und nur dann 2 BPM zurück, wenn es absolut nicht klappt, ansonsten immer 1 BPM.

Wiederhole diesen Vorgang so lange, bis du beim Endtempo plus 5 bis 6 BPM angekommen bist. Das ist das Zieltempo. In diesem Tempo musst du sicher und mit korrekter Technik spielen können, wenn du im Endtempo IMMER sicher spielen willst. Das Ziel liegt hinter dem Ziel!

Wichtig! Du musst diesen kompletten Vorgang nicht an einem Tag schaffen. Es können auch mehrere Tage, Wochen oder sogar Monate vergehen, das Zieltempo und damit auch das Endtempo zu erreichen und auf Dauer sicher in diesem Tempo spielen zu können. Geschwindigkeit ist ein Prozess!

Fortschritt messen

Wichtig ist, dass du deinen Fortschritt misst. Dazu gehört das Aufzeichnen des Starttempos und des am Ende der Übeeinheit erreichten Tempos. Notiere das mit Datum. Mache nun den Test. Spiele das Stück zum Abschluss noch einmal in deinem erreichten Tempo und stelle das Metronom danach auf das Starttempo. Spiele erneut! Du wirst erstaunt sein, wie groß die Fortschritte sind, obwohl wir das Metronom immer nur um 2 BPM schneller gestellt haben. Es ist wie im Auto auf der Autobahn: Beim Auffahren bemerkt man die nun höhere Geschwindigkeit noch. Je länger man auf der Autobahn fährt, desto mehr fühlt sich die hohe Geschwindigkeit normal an. Wie schnell man tatsächlich unterwegs ist, merkt man erst, wenn man die Autobahn wieder verlässt.

Schnell und virtuos ungleich gut

Natürlich beeindrucken virtuose Instrumentalisten. Keine Frage. Aber das bedeutet nicht automatisch, dass diese Musiker auch wirklich gut sind. Warum? Genauso wie es eine Kunst ist, sehr schnell und virtuos zu spielen, ist es eine Kunst, langsam zu spielen und langsame Passagen mit Ausdruck zum Klingen zu bringen. Es gibt hervorragende langsam spielende Gitarristen, die genauso berühmt sind wie die schnell spielende Fraktion. Jedes Jahr werden neue Schallmauern durchbrochen und doch sind es eben diese “langsamen” Gitarristen, die von den Virtuosen als Vorbilder genannt werden. Ein herausragendes Beispiel ist David Gilmour von Pink Floyd. Oder “Slowhand” Eric Clapton, der immerhin von seinen Fans zum “Gitarrengott” auserkoren wurde. Mark Knopfler von den Dire Straits ist ein weiteres Beispiel für einen Gitarristen, der zwar moderate Geschwindigkeiten erreicht, seine größten Erfolge jedoch mit den ruhigeren Tönen hatte und hat.

Vor einiger Zeit machte eine junge Gitarristen auf YouTube von sich reden. Spielte sie doch scheinbar mühelos berühmte Soli von sehr virtuosen Gitarristen nach. Vielleicht hast du schon mal einige Videos von Tina S gesehen? Hier siehst du nur ein beeindruckendes Beispiel ihres Könnens mit einer Bearbeitung des 3. Satzes der berühmten “Mondschein Sonate” von Ludwig van Beethoven.

Beeindruckend, oder? Ich habe damals ihre Videos mit den vielen virtuosen Soli verschlungen und sie sehr bewundert. Doch dann kam das folgende Video:

Was sich für den Tina S Fan vielleicht im ersten Moment toll anhört, war für mich als Kenner des Originals von Pink Floyd mit Gitarrist David Gilmour schon fast ein Verbrechen am Original. Das, was David Gilmour vor allem mit dem zweiten Solo am Ende des Songs über mehrere Minuten lang ausdrückt, ist bei Tina S einfach nicht vorhanden. Die sonst übliche Gänsehaut, die ich beim Anhören des Originals regelmäßig bekomme, bleibt aus. Bilde dir selbst eine Meinung, hier kommt David Gilmour, eigentlich schon lange im Rentenalter, live aus Pompeji: 

Lerne erst langsam zu spielen und alle Emotionen in das langsame Spiel zu legen. Bring lange Töne durch den Einsatz von Vibrato zum Klingen. Übe das Bending. Nutz alle Spieltechniken aus, die einen Ton schön klingen lassen. Dann, wenn du das kannst, darfst du schnell spielen. Denke an den Bruchtest im Karate: Ohne die gute Technik geht es nicht! Das ist die Grundvoraussetzung.

Gleiches gilt für alle anderen Instrumente. Wenn du einen langsamen Satz einer Sonate wunderbar vortragen kannst, wenn du eine gute Spieltechnik hast und Skalen sich langsam gespielt natürlich anfühlen und du nicht über Fingersätze nachdenken musst, dann kannst du dich daran begeben, deine persönliche Temposchallmauer zu durchbrechen.

Und wenn es nicht klappt?

Dann sei nicht traurig und erinnere dich an die vielen tollen Musiker, die mit ihren tollen langsamen Soli eine Weltkarriere hingelegt haben und die Menschen mit ihrer Musik begeistern. Nicht jeder ist ein Virtuose, so wie auch nicht jeder ein Spitzensportler ist. Dennoch kann man ein guter Musiker und ein guter Sportler sein.

Werde ich ein Brett zerschlagen können? Ich weiß es nicht. Ich berichte es dir, wenn ich es ausprobiert habe. Bis dahin übe ich weiter an meinen Karate-Techniken und vielleicht werden eines Tages ein Brett oder mehrere dran glauben müssen. Vielleicht auch nicht. Das macht mich nicht zu einem schlechteren Karateka. Denn wie Bruce Lee so schön im Film “Enter The Dragon” sagt: “Boards don’t hit back” (Bretter schlagen nicht zurück). In diesem Sinne: Keep tryin’!

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