Praxis: Wie übst du richtig?
Du hast ein Musikinstrument, du hast einen Lehrer, du hast ein Ziel. Nun musst du es nur noch erreichen. Dazu zählt das tägliche Üben. Nun ist das, was sich zu Beginn so selbstverständlich anhört, oft schon nach kurzer Zeit nicht mehr so selbstverständlich. Hier erfährst du, wie du deine Übezeit optimal nutzt, um den größtmöglichen Effekt zu erzielen.
Wie lange muss man üben?
Die Frage nach der Länge der Übezeit ist wohl die häufigste Frage, die mir neue Schüler oder Eltern stellen. Meine Antwort ist immer gleich: Es ist nicht wichtig, wie lang du übst. Es ist wichtig, wie du die Zeit mit dem Instrument verbringst!
Manche Schüler haben viel Zeit zum Üben. Sie erzählen mir, dass sie eine Stunde oder mehr täglich mit dem Instrument verbringen. Andere Schüler kommen auf gerade einmal fünf bis zehn Minuten. Das ist vollkommen normal. Nicht jeder kann aus schulischen, beruflichen oder familiären Gründen so viel Zeit für das Hobby Musikinstrument erübrigen. Statt nun zu resignieren ist es besser, die zur Verfügung stehende Zeit optimal zu nutzen.
Muss ich täglich üben?
Tägliches Üben wäre natürlich das Optimum. Auch das ist nicht jedem möglich. Wichtiger als tägliches Üben ist das regelmäßige Üben. Wenn das nur jeden zweiten oder jeden dritten Tag gelingt, dann sei es so, aber der Rhythmus sollte möglichst beibehalten werden und nur im Notfall unterbrochen. Sehr schlecht ist das “tröpfchenweise” Üben, zum Beispiel nur einmal am Wochenende oder immer mit verschieden großen Zeitabständen zwischen zwei Übeeinheiten. Lernerfolg stellt sich nur durch Regelmäßigkeit ein. Das ist ähnlich wie beim Vokabellernen. Es dauert eine Weile, bis das theoretische Wissen und auch die Bewegungsabläufe abgespeichert sind und beginnen zu “fließen”. Je regelmäßiger du übst, desto eher wird das der Fall sein.
Üben bedeutet Training
Den Großteil meines Lebens war ich ein Sportmuffel. Zu einem regelmäßigen Training, zum Beispiel im Fitnessstudio, konnte ich mich nie aufraffen, während andere täglich ihre Freizeit dort verbrachten. Verändert hat sich das mit Karate. Wahrscheinlich ist es die Philosophie, die Karate zugrunde liegt und die Art und Weise wie es erlernt wird, die mich dazu bringt, sehr regelmäßig und oft täglich zu trainieren. Karate Training hat viele Ähnlichkeiten mit dem Üben eines Musikinstruments: Große Probleme werden in kleine Probleme zerlegt, diese geübt und sehr oft wiederholt bis allmählich ein Spielfluss entsteht. Beim Karate ist es ähnlich: Eine komplexe Kata wird in viele kleine Teile zerlegt. Jeder kleine Teil enthält eine Technik, die wiederum aus mehreren Teilen besteht, wie einer bestimmten Stellung der Beine, der Füße, der Hände. Jede Technik hat einen Anfangspunkt und einen Endpunkt. Der Karateka erlernt diese einzeln, dann den Übergang von A zu B. Nun geht es weiter zur nächsten Station und am Ende steht die fertige Kata.
Ein komplexes Musikstück ist wie die Karate Kata: Es besteht aus vielen verschiedenen Formteilen, die wiederum aus weiteren Einzelteilen wie Themen und diese wieder aus Motiven bestehen. Manche dieser Motive umfassen nur wenige Töne, erfordern aber vielleicht eine spezielle Spieltechnik, einen bestimmten Fingersatz oder bergen ein Problem, das es zu lösen gilt. So arbeitet sich der Musiker nach und nach durch ein Stück und verbindet die einzelnen Teile nach und nach, bis schließlich ein Spielfluss entsteht.
Das Ganze betrachten
Bevor du nun das Musikstück in seine Einzelteile zerlegst, solltest du zunächst das gesamte Musikstück betrachten und verinnerlichen. Bevor der Karateka eine Kata übt, schaut er sie sich mehrfach in ihrer Gesamtheit an, vielleicht mit einem Video von einem großen Meister. Eventuell schaut er sich auch verschiedene Versionen der Kata von unterschiedlichen Meistern an. Bei dieser Gelegenheit merkt er sich wiederholende Passagen oder Techniken, die er bereits kennt. Er merkt sich das Laufschema der Kata (jap. Embusen). Verfahre auch so beim Erlernen eines neuen Musikstücks. Höre es dir an – in verschiedenen Versionen. Vergleiche das Hörerlebnis mit dem Notentext und lies die Noten mit. Markiere dir eventuell Passagen, die dir auffallen. Merke dir, wo Wiederholungen stattfinden oder ob es Variationen von Teilen gibt. Es gibt beim Hören viel zu entdecken und zusammen mit dem Notentext fängt das Üben schon beim Hören an. Vielleicht gefällt dir auch schon eine bestimmte Interpretation, die du als Vorbild nutzen möchtest. Schreibe dir dazu zusätzliche Anmerkungen in die Noten, wie zum Beispiel Lautstärkeverläufe, Tempovariationen, Artikulationen und so weiter.
Wenig Zeit optimal nutzen
Wenn dir nur wenig Zeit zum Üben zur Verfügung steht, überlege dir, wie du sie für dich optimal nutzen kannst. Mal angenommen, du hast 10 Minuten täglich zur Verfügung. Nutze davon die ersten 1 bis 2 Minuten, um dich warm zu spielen. Mach das mit einem dir bekannten Musikstück, das du schon kannst. Es sollte nicht zu schwer und recht kurz sein.
Die folgenden 5 bis 6 Minuten verbringst du nun damit, eine bestimmte Passage oder Technik zu üben, die du dir vorher vorgenommen hast.
Nun bleiben dir noch 2 bis 3 Minuten übrig. Während dieser Zeit solltest du das, was du heute gelernt hast, in den Kontext setzen und alles bereits erlernte ein bis zweimal spielen. Ist das Stück zu lang, um das in der kurzen Zeit hinzubekommen, verzichte am nächsten Tag auf das Üben einer einzelnen Passage und spiele stattdessen 10 Minuten lang das bislang Erlernte. So wiederholst du regelmäßig alles, was bislang erarbeitet wurde und bringst es gleich in den Kontext, was wiederum den Spielfluss erhöht.
Viele Schüler nehmen sich gerade für diesen letzten wichtigen Teil nicht genügend Zeit. Sie vertiefen sich stets so sehr in einzelne Passagen, dass am Ende ein Mosaik aus vielen kleinen Stückchen entsteht, aber kein Spielfluss und deshalb kein Gesamtwerk. Bei sehr langen Stücken ist dann unter Umständen auch der Beginn schon wieder vergessen, wenn der Schüler endlich am Ende des Stücks angekommen ist.
Das Musizieren nicht vergessen
Sehr viele Schüler üben nur und musizieren nie oder selten. Plane in der Woche mehrere Zeiträume ein, in denen du nicht übst, sondern einfach mal Musiker bist und spielst, was dir in den Sinn kommt und Spaß macht. Dabei geht es nicht um Perfektion. Fehler dürfen Fehler bleiben und werden nicht behoben, denn dann übst du ja wieder. Wer sein Leben lang nur übt, hat nie Musik gemacht.